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Frühling der Barbaren - Jonas Lüschers clevere Novelle

Manchmal ist der Grat zwischen derjenigen klugen Literatur, die uns in ihrer Findigkeit begeistert und ebensolcher klugen Literatur, die uns dagegen in ihrer allzu selbstbewussten Schläue Unbehagen bereitet, äußerst schmal. So auch im offiziellen Erstlingswerk Jonas Lüschers: Frühling der Barbaren.

Lüscher schickt seine Hauptfigur, einen reichen Schweizer Konzernerben namens Preising, in ein tunesisches Urlaubsresort, wo er Geschäftliches zu erledigen hat. Dort trifft er auf eine gleichermaßen wohlbetuchte englische Hochzeitsgesellschaft, deren Teilnehmer allesamt ihre Londoner Finanzwelt zeitweilig verlassen haben, um sich partyfreudig dem exotischen Ambiente der Wüste hinzugeben. Am Rande, fernab von dem möglichen Wirkbereich der feierlaunigen Gruppe, überwiegend bestehend aus Yuppies, ereignet sich der katastrophale Zusammenbruch des Finanzsystems, der Preising und die Neureichen auf einen Schlag in die Arbeits- und anscheinende Besitzlosigkeit katapultiert, begleitet von einer desaströsen die Partymenschen überfallenden Wertelosigkeit.

Geschickt mit den Genreerwartungen der Novelle spielend, inszeniert Lüscher die Erzählung entlang des Gegensatzpaares von Ordnung und Chaos. So ist schon die vermeintlich ehrlich berichtete Geschichte der Novelle selbst eigentlich dem alten, dann in einer Psychiatrie befindlichen Preising in den Mund gelegt, der rückwirkend die Ereignisse aus seiner Perspektive schildert. Dem beigestellt ist die neutrale Perspektive eines auktorialen Erzählers. Stabilität und Zusammenbruch sind die Eckpfeiler der Erzählung. Die zentrale Metapher: unbeugsames Kamel und seine despotische Unterwerfung im Räderwerk neoliberaler Allgewalt. Preising scheint auf tragisch-nihilistische Weise im Ganzen paralysiert, verkörpert eine dem Hamster im Hamsterrad gleichende Ziellosigkeit. So ist es nur konsequent, dass sein letztliches Ziel die Psychiatrie ist, wo das System als Institution und der Wahn in Form von unbeherrschten Gedanken den Takt angeben. Neben dieser Konstruktion Lüschers, die sich aufgeweckt in die postmoderne Wertekriese à la Nietzsche mit ihrem Wüstensujet einzubetten versteht und ohne Frage durchdacht das Thema der Wirkmächtigkeit des Individuums gegen ein unberechenbar gewordenes System aufzugreifen imstande ist, drängt sich eben jene Konstruktion selbstgefällig, seiner eigenen Klugheit bewusst, auf, was das Leseerlebnis zuweilen zum Stocken bringt. „Während Preising schlief, ging England unter“ - das ist vielleicht doch zu aufgeblasen in seiner ausgemachten Klarheit.

Zu fragen bleibt nur, ob dieses Unbehagen ein spezifisches Werkdefizit ist, oder ein allgemeines unserer Zeit, von dem die Literaturrezeption unweigerlich befallen ist. Naiv sehnt man sich Camus‘ Meursault in Der Fremde zurück, der die absurde Handlungslosigkeit ganz leichtfüßig zu porträtieren vermochte, ohne dabei Camus mit „klug“ attributieren zu müssen. Vielleicht ist es auch die Verkrampftheit eines Erstlingswerks, die den gewollten Strahl ihrer Intelligenz so unverhohlen hinausschießt. So darf man ohne Zweifel gespannt bleiben auf Lüschers nächstes Buch.